Was Sie als Eigentümer bei Bestandsimmobilien wirklich nachrüsten müssen
Stellen Sie sich vor, Sie kaufen ein altes Mehrfamilienhaus in Linz - schön, ruhig, günstig. Doch dann kommt die Nachricht von der Bauaufsicht: Brandschutzvorgaben müssen nachgerüstet werden. Plötzlich stehen Kosten von mehreren zehntausend Euro auf dem Tisch, und Sie wissen nicht, wo Sie anfangen sollen. Keine Sorge - viele Eigentümer stehen vor genau diesem Problem. Die gute Nachricht: Sie müssen nicht alles auf einmal ändern. Aber Sie müssen wissen, was wirklich Pflicht ist - und was nur ein Mythos.
Im Gegensatz zur Energieeinsparverordnung, bei der klar steht: „Ab 2024 muss die Heizung ausgetauscht werden“, gibt es bei Brandschutzvorgaben keine bundesweiten Fristen. Stattdessen regeln die 16 Landesbauordnungen, was in Ihrem Haus Pflicht ist. Und das macht alles komplizierter. Was in Bayern erlaubt ist, kann in Berlin verboten sein. Was in einem 1920er Haus gilt, stimmt nicht für ein Haus aus den 70ern. Hier geht es nicht um Energieeffizienz - es geht um Leben. Um Fluchtwege, die nicht blockiert sind. Um Türen, die im Brandfall aufgehen. Um Mauern, die Feuer mindestens 30 Minuten aufhalten.
Bestandschutz - aber nur bis zu einem Punkt
Ein häufiger Irrtum: „Mein Haus ist alt, also gilt der alte Standard.“ Das ist nur halb wahr. Das Bestandschutzprinzip schützt Sie - aber nur, wenn Sie nichts verändern. Sobald Sie eine Wand versetzen, eine Wohnung umbauen, das Dach sanieren oder die Nutzung ändern (z. B. von Wohnen zu Gewerbe), tritt die aktuelle Bauordnung in Kraft. Dann müssen Sie den gesamten betroffenen Bereich auf den neuesten Stand bringen. Das bedeutet: Wenn Sie im Treppenhaus eine neue Tür einbauen, muss sie feuerhemmend sein - auch wenn das Haus aus dem Jahr 1950 stammt. Die Bauaufsicht prüft nicht, was früher erlaubt war. Sie prüft, was heute sicher ist.
Ein Beispiel aus der Praxis: Ein Eigentümer in Dresden wollte eine alte Holztür im Treppenhaus durch eine moderne, lichtdurchlässige ersetzen. Die Bauaufsicht verweigerte die Genehmigung - nicht wegen des Materials, sondern weil die neue Tür nicht die erforderliche Feuerwiderstandsklasse F30 hatte. Der Eigentümer musste eine spezielle Brandschutztür nachbauen, die optisch wie die alte aussah - aber technisch den Anforderungen entsprach. Das kostete 2.800 Euro pro Tür. Aber es war Pflicht.
Fluchtwege: Das Wichtigste, was Sie vergessen können
Der wichtigste Brandschutz in jedem Haus ist ein freier Fluchtweg. Und das ist kein theoretisches Konzept. Das ist Leben. In Mehrfamilienhäusern sind Treppenhäuser und Hausflure die einzigen Ausgänge - und sie müssen jederzeit passierbar sein. Die Bauordnung schreibt keine konkrete Strafe für „Gegenstände im Treppenhaus“ vor. Aber sie schreibt vor: Fluchtwegbreiten müssen eingehalten werden. In der Musterbauordnung sind das mindestens 1,20 Meter. In Berlin sind es 1,50 Meter, wenn die Wohnfläche über 500 m² liegt.
Was darf nicht im Treppenhaus stehen? Alles, was brennt. Altpapier, Kartons, Fahrräder, Möbel, Holzpaletten - alles verboten. Kinderwagen und Rollstühle sind erlaubt - aber nur, wenn es keinen anderen Platz gibt und der Weg nicht eingeengt wird. Die Feuerwehr in Berlin hat 2023 in 68 Prozent ihrer Beratungen zu Bestandsimmobilien genau das angesprochen: blockierte Fluchttüren, verstopfte Treppenhäuser, ungesicherte Abstellräume. Kein Brand ist je durch eine fehlende Isolierung entstanden. Viele sind durch einen verstopften Fluchtweg tödlich geworden.
Und die Beleuchtung? Die muss funktionieren. Mindestens 50 Lux - das ist so hell wie ein klassischer Glühbirnenstrahl in einem Flur. In vielen Altbauten sind die Lampen kaputt, die Schalter defekt, die Leitungen veraltet. Eine Nachrüstung kostet zwischen 800 und 2.500 Euro - je nach Hausgröße. Aber es ist Pflicht. Die Bauaufsicht prüft das bei jeder Genehmigung für Umbauten. Und wenn Sie später einen Brand haben? Dann wird die Versicherung fragen: „Hatten Sie die Beleuchtung in Ordnung?“
Feuerschutzabschlüsse und Rauchmelder - nicht alles ist Pflicht, aber fast
Feuerschutzabschlüsse - das sind Türen und Wände, die Feuer und Rauch mindestens 30 Minuten aufhalten (F30). Sie sind Pflicht, wenn Sie eine Wohnung teilen, ein Dachgeschoss ausbauen oder die Nutzung ändern. In einem Haus aus den 60er Jahren mit offenen Treppenhäusern müssen Sie nicht zwangsläufig alle Türen ersetzen. Aber wenn Sie eine Wand zwischen zwei Wohnungen einziehen, dann müssen die Türen, die dazugehören, feuerhemmend sein.
Und Rauchmelder? In fast allen Bundesländern sind sie Pflicht - aber nicht in jedem Raum. In Österreich sind sie seit 2015 in Schlafzimmern, Kinderzimmern und Fluren Pflicht. In Deutschland ist die Regelung länderspezifisch. In Berlin, Hamburg und Bayern müssen sie in jeder Wohnung installiert sein. In anderen Bundesländern nur in Schlafzimmern. Die Kosten? Etwa 25 bis 50 Euro pro Melder. Die Installation? Ein paar Minuten. Die Wirkung? Unersetzlich. Ein Rauchmelder rettet Leben - und kann Ihnen im Schadensfall auch vor Versicherungsleistungen schützen.
Warum Sie einen Brandschutzgutachter brauchen - und nicht nur einen Handwerker
Ein Handwerker kann eine Tür einbauen. Ein Brandschutzgutachter sagt Ihnen, welche Tür Sie einbauen müssen - und ob das Haus überhaupt die Voraussetzungen dafür hat. In Altbauten vor 1970 ist die Gefahr besonders groß: Dämmstoffe aus Polystyrol, Holzwolle, alte Holzkonstruktionen - alles brennbar. Die Bauaufsicht prüft nicht, was drinsteckt. Sie prüft, was draußen sichtbar ist. Wenn Sie ein Dachgeschoss ausbauen und dabei die alten Dämmstoffe nicht entfernen, können Sie trotz neuer Türen und Melder nicht genehmigt werden.
Ein Gutachter kostet 1.500 bis 3.000 Euro. Klingen viel? Im Vergleich zu den durchschnittlichen 8.200 Euro, die man später für Nachbesserungen ausgibt, ist das ein Schnäppchen. Und es vermeidet, dass Sie monatelang auf eine Genehmigung warten - und dann doch alles wieder rausreißen müssen. Die meisten Bauaufsichtsämter empfehlen ausdrücklich, vor einer Sanierung einen Gutachter einzuschalten. In Hamburg und Berlin gibt es sogar kostenlose Beratungsgespräche bei der Feuerwehr. 2023 führten sie über 1.800 solcher Gespräche - fast alle für Bestandsimmobilien.
Die Kosten - und warum Sie keine Förderung bekommen
Bei energetischen Sanierungen gibt es Fördergelder vom Staat: BEG, KfW, Bundesförderung - alles klar geregelt. Bei Brandschutz? Nichts. Kein Cent. Kein Zuschuss. Kein Kredit. Das ist der größte Unterschied. Ein Eigentümer in Berlin musste 48.500 Euro für Feuerschutzabschlüsse, Rauchmelder und neue Türen ausgeben - und durfte nichts davon auf die Mieter umlegen. Die Berliner Bauordnung verbietet das. Andere Bundesländer erlauben es teilweise - aber nur bis zu einem bestimmten Betrag. Die Folge: Viele kleine Wohnungseigentümergemeinschaften haben keine Rücklagen. Eine Umfrage des Deutschen Mieterbundes aus März 2024 zeigt: 43 Prozent der kleinen Eigentümergruppen können sich eine Brandschutzsanierung nicht leisten. Und das, obwohl die Kosten jährlich um 6,3 Prozent steigen.
Das führt zu einem gefährlichen Trend: Mietminderungen. Im Jahr 2023 wurden 1.247 Fälle von Mieterbünden registriert, in denen Mieter die Miete kürzten, weil der Brandschutz nicht in Ordnung war - ein Anstieg von 27 Prozent gegenüber 2022. Sie haben kein Recht auf eine neue Heizung. Aber sie haben ein Recht auf einen sicheren Fluchtweg. Und das ist juristisch durchsetzbar.
Was kommt 2026? Und was sollten Sie jetzt tun?
Die Bundesregierung arbeitet an einem neuen Gesetz: „Gesetz zur Modernisierung des Bauordnungsrechts“. Es soll ab 2026 eine bundeseinheitliche Regelung für Brandschutz in Bestandsbauten einführen. Das heißt: Keine 16 verschiedenen Regeln mehr. Das ist gut. Aber es wird auch strenger. In Nordrhein-Westfalen wird ab 2025 für Hochhäuser eine neue Nachrüstpflicht gelten. In Bayern wird man eher auf Schulungen setzen. In Hamburg läuft bereits ein Pilotprojekt: die „Digitale Brandschutzakte“. Jede Sanierung wird digital dokumentiert - Türen, Wände, Leitungen. In Zukunft wird die Bauaufsicht nicht mehr in Ihr Haus kommen. Sie wird Ihre Akte aufrufen.
Was sollten Sie jetzt tun? Drei Schritte:
- Prüfen Sie Ihre Landesbauordnung. Suchen Sie nach „§ 70 Musterbauordnung“ oder „Brandschutz Bestandsbau“. Die meisten sind online verfügbar.
- Prüfen Sie Ihre Fluchtwegbreiten. Messen Sie den Treppenhausflur. Ist er breiter als 1,20 Meter? Sind Türen frei? Ist die Beleuchtung funktionstüchtig?
- Sprechen Sie mit der Feuerwehr. Viele Kommunen bieten kostenlose Beratung an. In Linz ist das die Stadtfeuerwehr - sie hat im letzten Jahr 87 Beratungen für Bestandsimmobilien durchgeführt.
Brandschutz ist kein Luxus. Es ist kein Schönheitsfehler. Es ist die Grundlage dafür, dass Ihre Familie, Ihre Mieter, Ihre Nachbarn nach Hause kommen - und nicht im Treppenhaus sterben. Sie müssen nicht alles gleich machen. Aber Sie müssen anfangen. Und zwar jetzt. Nicht weil es schön wäre. Sondern weil es nötig ist.